Geistliche Morgenmusik
Kantaten-Gottesdienst bei der Greifswalder Bachwoche - Einführung in die Bachkantate: 9.45 Uhr
Wilfried Koball, Orgel
Christine Wolff, Sopran
Bogna Bartosz, Alt
Christoph Rösel, Tenor
Helga Günther, Orgelcontinuo
Kantorei St. Marien
Leitung: Silvia Treuer
Das Bild des „Guten Hirten“ (aus Jesu Rede in Johannes 10) beherrscht diese Kantate ganz und gar, schon im einleitenden Rezitativ, dort auch mit etlichen Textanspielungen an den Hirten-Psalm 23, z.B.“…kömmt die Zeit, durchs finstre Tal zu gehen, so hilft und tröstet uns sein sanfter Stab“ (vgl. Psalm 23,4). Albert Schweitzer hat seine helle Freude an Bachs bildhafter musikalischer Gestaltung dieses Motivs: „Bach wäre nicht er selbst, wenn er zu diesem Rezitativ nicht die rufende Flöte des Hirten erschallen ließe. Sie erklingt in Unterbrechungen, als wandle dieser auf ferner Höhe einher, so dass man sein Blasen nur in abgerissenen Stücken vernimmt.“ Das folgende Duett, „dessen Länge auch der Laie nicht gewahr wird“ (Albert Schweitzer), vermittelt ebenfalls den „Eindruck eines Hirtenreigens“ (Alfred Dürr), dessen pastorale Grundstimmung durch „den weitgehenden Parallelvortrag zwischen den beiden Singstimmen in beseligenden Terzen bzw. Sexten“ (Martin Petzold) hervorgerufen wird. „Reizend ist das Locken der Flöten im Schluss-Chor ‚Guter Hirte’“ (Albert Schweitzer). Bei aller Hirtenmetaphorik des unbekannten Textdichters macht der Leipziger Bachforscher Martin Petzold beim Schluss-Chor auch auf eine interessante Sprachbesonderheit der Bach-Zeit aufmerksam: „Dass man damals phonetisch wie semantisch ‚Hirt’ und ‚Hort’– nach der Bibelübersetzung Luthers – nahe beieinander hörte und verstand, kann in mehreren Texten festgestellt werden, die Bach vertont hat. Hier vermittelt diese Nähe den Dienst des verlässlichen und behüteten Gestus, der durch den Halteton auf ‚Hort’ (wegen des Reimes auf ‚Wort’) erzeugt wird.“ Luther hatte z.B. in Psalm 62,3 das hebräische Wort für „Fels“ mit „Hort“ übersetzt, denn, so Luther: „Hort nennen wir, darauf wir uns verlassen und trösten.“